Technologie

Von der Entwicklungsphase zur Serienproduktion


Von Johny Bertels,

Das Scale-up ist der letzte Schritt auf dem Weg zur kommerziellen Tablettenherstellung. Nach der erfolgreichen Formulierung und dem Abschluss der klinischen Tests erfolgt in dieser finalen Phase die Maßstabsvergrößerung hin zur Serienproduktion. „Bei der Umstellung von den F&E-Pressen auf die geplanten Produktionsmaschinen müssen alle relevanten Parameter, die die Performance der entwickelten Formulierung beeinträchtigen können, genau betrachtet werden“, erläutert Johny Bertels, Leitender Wissenschaftler bei The Janssen Pharmaceutical Companies of Johnson & Johnson. So könne sich beispielsweise das Fließverhalten bei größeren Materialmengen ändern, was sich erst bei der Umstellung auf große Rundlaufpressen zeige. Auch die Segregation der Bestandteile sei ein häufiges Problem, das sich im Vorfeld nur innerhalb einer bestimmten Bandbreite vorhersehen lasse, betont der Fachmann. Wichtig sei, dass die Veränderungen im Zusammenhang mit einer Hochgeschwindigkeitsproduktion bei der Formulierung direkt berücksichtigt werden. Das betrifft etwa das gleichmäßige Befüllen der Matrize trotz hoher Geschwindigkeit und Fliehkräfte oder ein möglicherweise verändertes Materialverhalten infolge von Wärmeentwicklung in der Serienproduktion. Letzteres kann dazu führen, dass Material am Pressstempel haften bleibt.

Die Tabletten sind zudem bei der Serienproduktion einer größeren mechanischen Belastung ausgesetzt, z. B. beim Transport zwischen Presse und Entstaubungsanlage oder auch in der Tablettenauffangvorrichtung. Dies ist besonders bei orodispersiblen (nicht-überzogenen) Tabletten ein wichtiger Faktor, der zu berücksichtigen ist. Und nicht zuletzt kann es auch beim API selbst zu Änderungen kommen. Am Anfang der Entwicklung wird nur eine sehr geringe Menge des Wirkstoffes hergestellt, später bei erhöhter Produktion des API kann sich bei der Optimierung der Synthese auch die Morphologie des Wirkstoffs ändern und dadurch wiederum sein Verhältnis. All dies erfordert eine besondere Betrachtung: Gegebenenfalls muss der Produktionsprozess angepasst oder das Equipment geändert werden. Im schlimmsten Fall geht das Produkt nochmals in die Entwicklungsphase, um kleine Modifikationen an der Formulierung vorzunehmen.

Die Phasen des Scale ups

Die Maßstabsvergrößerung geschieht in drei Schritten: In der anfänglichen Formulierungsentwicklung bewegt man sich mit der Exzenterpresse und einem Materialumfang von wenigen hundert Gramm noch im kleinen Format. Danach – in der sogenannten Pilotphase – wird auf eine Rundlaufpresse umgestellt und eine größere Materialmenge von bis zu 20 Kilogramm verarbeitet. Erst im dritten Schritt kommt die eigentliche Produktionspresse zum Einsatz – mit bis zu 300 Kilogramm Volumen pro Charge. ” An unserem Standort gibt es keine Produktion J&J produziert nicht selbst, deshalb findet dieser letzte Schritt bereits mit einem Techniktransfer in der finalen Produktionsstätte statt”, erklärt Bertels. Doch auch während der kommerziellen Produktion werden die Qualitätsmerkmale in den ersten Jahren kontinuierlich überwacht. „Wir hören auch in der Produktionsphase nie auf, Neues über das Produkt und die Prozesse zu lernen“, erläutert er diese Philosophie. Dabei sei die Integration der Equipmentvariabilität in den Design Space bei der Formulierung eine große Hilfe, so Bertels. Ist anstelle der Batch-Produktion eine kontinuierliche Herstellung geplant, entfällt die letzte Phase des Scale up nach der Pilotphase. Die letzten Schritte der Entwicklung werden bereits auf der Produktionsmaschine realisiert. Hier sei aber besonders wichtig, dass die Formulierung stabil gegenüber Geschwindigkeitsveränderungen sei, betont Bertels, da das Produktionstempo der Tablettenpresse je nach Materialzufluss variiere.

Weniger Testläufe dank Simulatoren

Mithilfe von F&E-Simulatoren lassen sich bereits sehr früh im Entwicklungsprozess vielfältige Versuche zu Kompressionsverhalten inklusive Vorpresskraft und Produktionsgeschwindigkeit durchführen. Diese Versuche liefern präzise Ergebnisse, die repräsentativ für große Tablettenpressen sind. „Auch wenn Simulatoren die Pilotphase mit einer Rundlauftablettenpresse nicht ersetzen können, so reduzieren sie doch die Anzahl der erforderlichen Testläufe für die Pilot- und die Produktionsphase“, erläutert Bruno Leclercq, Manager Business Development von MEDELPHARM. Die Vorteile sind eine deutliche Ersparnis von Zeit und Material im Entwicklungsprozess. Darüber hinaus lassen sich Mehrschicht- und Mantelkerntabletten mit Simulatoren einfacher entwickeln. Eine Weiterentwicklung, denn in der Vergangenheit war das aufwendig und nur mit großen Anlagen möglich: „Früher”, erzählt Bertels, „wurde das Tablettieren als Kunst angesehen, bei der vor allem Erfahrung und Intuition entscheidend waren. Heute ist es dank modernster Software und TablettiergeräteSimulatoren hochpräzise und wissenschaftlich fundiert.“

Schnellere Entwicklung in der Zukunft

Die umfassende Charakterisierung des APIs gewinnt zunehmend an Bedeutung. Dabei werden seine mechanischen Eigenschaften noch systematischer untersucht und definiert, was zu einer präziseren Formulierung führt. Auch eine verbesserte Rechenleistung, die Verwendung künstlicher Intelligenz oder von Computersimulationen wie FEM (Finite Element Modelling) helfen dabei, mehr Daten einzubeziehen und sie zu verknüpfen. So werden Trial-and-Error-Versuche minimiert und schneller zielgerichtete Formulierungen entwickelt. „Doch es wird immer notwendig sein, Tabletten herzustellen, um sie zu analysieren“, fasst Johny Bertels abschließend die Zukunft der Entwicklung zusammen.

Up-Scaling durch "Um-Scaling"?

Bei der Entwicklung neuer Produkte sollte schon im Design Space unbedingt berücksichtigt werden, dass sie möglicherweise in Zukunft auf einer anderen Produktionsmaschine hergestellt werden. Hier hilft eine Studie auf einem Simulator: Er kann Bereiche der Prozessparameter umfassend bestimmen und Faktoren einbeziehen, die von Maschine zu Maschine stark variieren.

Auch wenn ein Produkt anfänglich ohne eine solche Studie entwickelt wurde, kann ein Simulator auch noch zu dem Zeitpunkt, an dem der Produkttransfer vorgenommen werden soll, wertvolle Dienste leisten: Innerhalb kürzester Zeit und mit wenig Material kann er die notwendigen Einstellungen auf der neuen Produktionsmaschine bestimmen. Das erhöht die Chancen erheblich, dass die drei Validierungschargen auf der neuen Produktionsmaschine erfolgreich und reibungslos ablaufen.

Johny Bertels
Senior Scientist, Janssen Research & Development within the Jannssen Pharmaceutical Companies of Johnson & Johnson